Chaotic Itinerancy (2000)

Eine interaktive Computer-Installation.
Reversible Simulation eines Mini-Universums mit Reset- und Return- Möglichkeit.

von Hans H. Diebner und Sven Sahle


Hans H. Diebner und Sven Sahle: Clusterbildung bei
Chaotic Itinerancy in der Zeitreihen-Darstellung.




Hans H. Diebner und Sven Sahle: Clusterbildung bei
Chaotic Itinerancy in der Phasenraum-Darstellung.


"Chaotic Itinerancy" ist ein von Ichiro Tsuda geprägter Begriff für die Eigenschaft bestimmter komplexer biologischer Systeme, die selbst aus komplexen Subsystemen bestehen. Die Subsysteme zeigen temporär Charakteristika, wie sie aus der Chaosforschung bekannt wurden, nämlich so genannte "chaotische Attraktoren". Temporär bedeutet, dass diese Attraktoren keine wirklich für alle Ewigkeit stabilen Strukturen sind, sondern gelegentlich zerfallen. Jeder Zerfall begünstigt die Neuformation eines - ebenfalls temporär stabilen - Attraktors. Der mathematische Ausdruck für diese semi-stabilen Attraktoren ist "Milnor Attraktor". Es bildet sich ein Wechselspiel des Aufbaus und Zerfalls - eine chaotische Wanderschaft - in dem System aus. Man beobachtet z.B. im Gehirn eine solche "chaotic itinerancy".

Konishi und Kaneko konnten zeigen, dass sich eine "chaotic itinerancy" auch in der von Isaac Newton beschriebenen klassischen Physik wiederfindet (siehe unten). Solche Newtonschen Systeme können prinzipiell keine echten chaotischen Attraktoren ausbilden. Dass unser Universum aus Werden und Vergehen besteht, ist - umgekehrt argumentiert - ein sehr starkes Indiz dafür, dass die von Newton eingeführten Grundgleichungen der Physik gültig sind. Newtons klassische Physik ist bestechend konsistent und genügt einem Optimierungsprinzip, dem Prinzip der kleinsten Wirkung, das auf Leibniz zurück geht:
Unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten.
Probleme bereitet manchmal die Tatsache, dass in der Newtonschen Physik keine Zeitrichtung festgelegt werden kann. Der Zerfall, das Altern und der Tod sprechen scheinbar für einen Zeitpfeil. Wenn wirklich ein Zeitpfeil existierte, wären aber ewig stabile Strukturen generisch und es stellt sich die Frage, warum man solche nie beobachtet (die Frage, ob Elektronen eine unendliche Zerfallszeit haben, zählt zu den fundamentalsten Problemen der Physik).

"Chaotic Itinerancy" soll zur Überlegung stimulieren, ob unser Empfinden möglicherweise ein Produkt der Tatsache ist, dass wir intrinsischer Teil, also eine nur temporär stabile Substruktur des Universums sind. Als privilegierter Demiurg des simulierten Universums heben sich die Widersprüche auf.

Ausstellungen:

  1. ZKM-Medienmuseum, Karlsruhe, Germany 2000.
  2. Unter dem Titel "Alt und Neu in reversiblen Universen" (mit Beteiligung von Peter Weibel): Eine physik-didaktische Installation auf der Basis von "Chaotic Itinerancy", gezeigt in der Ausstellung "Auge - Experiment" in der "Kärntner Landesgalerie", Klagenfurt, Österreich (2000). Siehe: Arnulf Rohsmann (ed.), "Auge - Experiment", Kärntner Landesgalerie, Klagenfurt 2000.