Hans H. Diebners Forschung

Modellierung von T-Zellen-Homeostase und Onkogenese

T-Zellen sind eine wichtige Komponente des spezifischen Immunsystems. Wie die B-Zellen, deren Rezeptoren spezifisch in den Körper eindringende Antigene, also beispielsweise ganz bestimmte Bakterien- oder Virentypen, erkennen und dann die Pathogene bekämpfen, erkennen auch die Rezeptoren der T-Zellen ganz spezifisch Fragemente von Antigenen. Die Rezeptoren der B-Zellen können sich in Form von Antikörpern von ihren Zellen ablösen und bekämpfen dann im Blut gelöst und frei beweglich die Eindringlinge. Diese Tatsache ist in der allgemeinen Öffentlichkeit ziemlich bekannt. Dass die T-Zellen in Form von Helferzellen für die B-Zellen oder selbst als effektive Waffe gegen die Pathogene gebraucht werden, ist hingegen in der Öffentlichkeit weniger bekannt.

Das Repertoir der T- und B-Zellen besteht aus weit mehr als jeweils 10 Million verschiedener T- bzw. B-Zell-Rezeptoren, die jeweils ein ganz bestimmtes Antigen erkennen. Dabei sind von jeder spezifische Zelle ein paar Kopien vorhanden, vielleicht 100 oder 1000, aber in Einzelfällen noch viel weniger, etwa 10. Damit diese wenigen Vertreter eines spezifischen Rezeptors, man redet von einem T- oder B-Zell-Klon, die Chance hat, ein eingedrungenes Antigen, von dem vielleicht nur wenige Fragemente lokalisiert vorhanden sind, auch zu erkennen, müssen die Immunzellen ständig im Blut und in den Lymphgefäßen zirkulieren. Die Antigene werden in Lymphknoten angetroffen, wo die Rezeptoren an die Antigenfragmente andocken und so die Immunzellen zur Bekämpfung aktiviert werden. Das bedeutet vor allem, dass sich der spezifische Klon nach Aktivierung stark vermehrt - der T- oder B-Zell-Klon expandiert.

Dass die Antigene, bevor sie von den T-Zellen erkannt werden können, erst von speziellen antigenpräsentierenden Zellen, den dentritischen Zellen, verarbeitet und den Immunzellen präsentiert werden müssen, geht bei populären Einführungen oft unter. Tatsächlich aber findet bereits auf dieser nichtspezifischen Ebene der Verarbeitung und Präsentation von Antigenen ein sehr komplexer Prozess statt, ohne den keine Immunantwort möglich ist. Warum präsentieren diese Zellen Antigene? Die Antwort ist relativ simpel, sie tun das die ganze Zeit. Immerfort werden Fragmente von Proteinen, so gennannte Peptide, von Molekülen aus der Gruppe des so genannten Haupthistokompatibilitätskomplexes in den antigenpräsentierenden Zellen gebunden und teilweise an die Zelloberfläche transportiert. Das geschieht auch mit körpereigenen Proteinen, sodass Selbstpeptide präsentiert werden. Geraten z.B. Proteine von Bakterien in die Zellen, dann läuft im Prinzip dieselbe Maschinerie ab, nur handelt es sich jetzt eben und Fremdpeptide, die präsentiert werden.

Das Geheimnis der spezifischen Immunantwort liegt also im Erkennen des Unterschieds von Eigen- und Fremdantigenen. Obwohl das außer bei Autoimmunerkrankungen gut funktioniert, lassen die T-Zellen die Selbstpeptide trotzdem nicht links liegen. Tatsächlich reagieren die T-Zell-Rezeptoren auch spezifisch mit Selbstpeptiden und werden dadurch stimuliert, aber eben nicht aktiviert. Durch diese Stimulation werden die T-Zell-Klone am Leben gehalten, da sie sonst im Laufe der Zeit aussterben würden. Die ständige schwache Reaktion mit körpereigenen Peptiden sorgt also für einen immer in genügend großer Zahl vorhanden Grundstock an T-Zellen von jedem Klon. Dieses Grundrepertoir ist im physiologisch gesunden Zustand einigermaßen stabil, man sprich von Homeostase - einem selbstregulierenden und -stabilisierenden Prozess.

Immunantworten sind kurzzeitige Störungen der Homeostase, da sich ein bestimmter T- oder B-Zell-Klon vermehrt. Noch größere und schädliche Störungen der Homeostase wird von Blutkrebs ausgelöst. Bei Leukämien und Lymphomen gibt es monoklonale oder auch polyklonale Expansionen von Immunzellen. Es kommt zur funktionellen Beinträchtigung des Immunsystems oder zur Verdrängung anderer funktionell wichtiger Zellen, z.B. den roten Blutkörperchen.

Eine spannende Frage, die ich mir derzeit stelle, ist, inwiefern bei der Entstehung bestimmter Leukämien/Lymphome direkt die Funktionsweise des (fehlgeleiteten) T-Zell-Rezeptors beteiligt ist. Irgendwie ist die Aktivierungsmaschinerie gestört, an deren oberster Ebene der T-Zell-Rezeptor steht. Aus der obigen Einführung folgt, für ein quantitatives, systemisches Verständnis der Organisation von T-Zellen bedarf es der Integration von Information aus verschiedenen Beschreibungsebenen die von der Zirkulation durch Blut und Lymphknoten bis hinunter in intrazelluläre Prozesse reicht. Im Projekt CONTROL-T, dem ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter angehöre, befördern wir mit Nachdruck diese Integration durch Anwendungen mathematischer Modelliertechniken, um Prozesse, die potentiell zu bösartigen Transformationen von T-Zellen führen können, auf konsistent Weise zu erklären. Das heißt konkret, dass ich mit an einem mathematischen Gerüst arbeite, in dem die zellulären Wechelwirkungen von multiplen T-Zell-Klonen mit zellintrinsischen Signalen sowie mit transkriptionalen Netzwerken verknüpft werden. Wir erwarten, dass wir auf der Basis dieser Modellierung zu experimentell überprüfbaren Vorhersagen gelangen. Solche Verhersagen betreffen regulatorische Mechanismen, aber auch potentielle therapeutische Strategien zur Behandlung von malignen T-Zell-Lymphomen. Der Modellieransatz ist eine zentrale Komponente bei Bemühungen, verschiedene experimentelle Arbeiten zu verknüpfen und um quantitatives, skalen-überbrückendes Wissen über Proliferation und Überleben von reifen T-Zell-Klonen in normalen homeostatischen und malignen Situation zu erzielen.